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Alt 23.03.2011, 00:58   #1
Andrew.derLuchs
Landesfürst

 
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Gedenkstätte Ahlem

Architektenwettbewerb

Gedenkstätte Ahlem in Hannover wird umgebaut

Eine Arbeitsgemeinschaft aus Hannover hat den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung der Gedenkstätte Ahlem gewonnen. Das teilte die Region Hannover am Dienstag mit. Der Umbau zu einem zentralen Informationszentrum soll noch in diesem Jahr beginnen.

Regionspräsident Hauke Jagau war eine gewisse Erleichterung anzumerken. Schließlich konnte er am Dienstag wichtige Fortschritte bei einem Thema vermelden, das für die Region zwischendurch zu einer unendlichen Geschichte zu werden drohte. Jetzt aber durfte Jagau den Entwurf präsentieren, den die Jury des Architektenwettbewerbs um die Neugestaltung der Gedenkstätte Ahlem zum Sieger gekürt hat. Die Gedenkstätte hat damit ein mögliches neues Gesicht – und Jagau konnte bei der Präsentation im Regionshaus feststellen: „Wir sind einen großen Schritt weitergekommen.“

Der Siegerentwurf sieht den Neubau eines gläsernen zentralen Eingangsgebäudes, eine vollständig neue Ausstellung sowie die Anlage eines Schulgartens auf dem Außengelände vor, das die Tradition des Gebäudes als Teil der Israelitischen Gartenbauschule aufgreift. Dass sich die Arbeitsgemeinschaft der hannoverschen Büros „Ahrens Grabenhorst“ (Architekten), „icon“ (Ausstellungen) und „momentum3“ (Landschaftsarchitektur) gegen 13 Konkurrenten aus dem gesamten Bundesgebiet durchsetzte, hat vor allem mit dem interdisziplinären Ansatz der Gruppe zu tun: Im Gegensatz zu den anderen Vorschlägen, die sich entweder auf die Architektur oder den Außenbereich konzentrierten, hätten die Sieger „die Vorgaben am komplettesten erfüllt“, lobte der Jurypräsident, der Braunschweiger Architekt Hartmut Rüdiger.

Diese Vorgaben sind in Ahlem außerordentlich anspruchsvoll: Das Gelände in Ahlem diente zunächst als jüdische Schul- und Ausbildungsstätte für Gärtner und Landschaftsbauer, bevor es die Nationalsozialisten zur Deportationssammelstelle, zum Gefängnis und schließlich auch zur Hinrichtungsstätte machten. „Es ging uns darum, die einzelnen Stufen sichtbar zu machen“, sagt Professorin Gesche Grabenhorst, deren Büro auch den Umbau der Gustav-Adolf-Kirche in Leinhausen zur neuen Synagoge der Liberalen Jüdischen Gemeinde plante.

In Ahlem wollen die Sieger des Wettbewerbs nun in der zweiten Etage des ehemaligen Direktorenhauses die Geschichte der Gartenbauschule erzählen und sich im ersten Geschoss auf die Geschichte während der NS-Zeit konzentrieren. Die Kellerräume, in denen die Gestapo Gefangene verhörte und folterte und in denen bislang die alte Ausstellung zu sehen war, sollen künftig weitgehend freibleiben. Platz für Vorträge und Veranstaltungen bietet ein Versammlungsraum im Untergeschoss des Neubaus.

Wie viel von diesen Plänen umgesetzt wird, muss nun die Region entscheiden. Die Jury hat der Region empfohlen, diesem Entwurf zu folgen – dass die zweit- und drittplatzierten Vorschläge, beide von Architekten und Landschaftsarchitekten aus Berlin, noch zum Zuge kommen, gilt als unwahrscheinlich. Andererseits ist fraglich, ob die Region mit den von ihr eingeplanten 2,5 Millionen Euro auskommt. Der bauliche und finanzielle Aufwand für den Siegerentwurf sei groß, sagte Rüdiger.

Ein Gast, der die Präsentation gestern im Regionshaus mit besonderem Blick verfolgte, war die Zeitzeugin Ruth Gröne. Im Oktober 1943 musste die damals Zwölfjährige mit ihren Eltern in das sogenannte Judenhaus auf dem Gelände der früheren Gartenbauschule ziehen. Insgesamt lebte sie zwölf Jahre auf dem Gelände. Es sei immer eigenartig, wenn sich ein Ort ihrer Erinnerungen verändert, sagte sie. Zugleich jedoch erfüllten sie die Pläne mit Stolz: „Ich bin sicher, dass dies eine bedeutende Gedenkstätte wird.“
Sämtliche Arbeiten sind bis zum 8. April in der „Galerie“ des Regionshauses in der Hildesheimer Straße 20 ausgestellt (Montag bis Freitag 9–17 Uhr).

© HAZ - Thorsten Fuchs | 22.03.2011
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Alt 23.03.2011, 01:30   #2
Andrew.derLuchs
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Landesfürst

 
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Beiträge: 690

Die Israelitische Gartenbauschule in Ahlem - von Dr. Hans-Dieter Schmid

Die Israelitische Gartenbauschule in Ahlem - von Dr. Hans-Dieter Schmid

Die Israelitischen Gartenbauschule Ahlem repräsentiert ein halbes Jahrhundert deutsch-jüdischer Geschichte in der Region Hannover. Gegründet im Jahre 1893 von dem hannoverschen Bankier Moritz Simon entwickelte sich die "Israelitische Erziehungsanstalt zu Ahlem bei Hannover" – wie sie zunächst hieß – bald zu einer der bedeutendsten jüdischen Bildungseinrichtungen mit praktisch-gewerblicher Berufsausbildung. Durch sein „Modell Ahlem“ wollte Moritz Simon beitragen zur „Produktivierung“ der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und zur „Normalisierung“ ihrer Berufs- verhältnisse durch die Hinwendung zu Gartenbau, Landwirtschaft und Handwerk, Berufsbereichen, die den Juden traditionell verwehrt waren – sowie zur Lösung der „sozialen Frage“ der jüdischen Unterschichten, vor allem in Osteuropa, durch frühzeitige „Erziehung zur Arbeit“. Dadurch erhoffte Moritz Simon sich zugleich eine wirksame Bekämpfung des Antisemitismus.

Moritz Simon (1837-1905), jüdischer Bankier, Gründer und Stifter der Gartenbauschule Ahlem
Reservelazarett - Israelitische Erziehungsanstalt Ahlem 28.10.1914

Die Israelitische Erziehungsanstalt zu Ahlem – ab dem Jahr 1919 umbenannt in „Israelitische Gartenbauschule“ – war von Anfang an eine Institution von überregionaler Bedeutung. Ihre Schüler kamen aus ganz Deutschland, aus Osteuropa, vereinzelt auch aus Palästina und anderen Ländern; ihre Absolventen fanden sich bald in ganz Europa, in Palästina und Amerika. Obwohl Ahlem eine dezidiert antizionistische Gründung war und blieb, wurde es auch zum Modell für zionistische Projekte auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Ausbildung in aller Welt.



Auf dieser Postkarte, die aus der Zeit um 1900 stammt, ist oben rechts in etwas idealisierter Darstellung das Hauptgebäude und der Haupteingang der Gartenbauschule zusehen. Die realistischere Darstellung der Gesamtanlage unten links zeigt unter anderem das im Jahr 1897 eingeweihte Schulgebäude, das zugleich die Wohnung des Obergärtners beherbergte (hinten links). Es ist das älteste heute noch vorhandene Gebäude.

Nach 1933 wurden Ahlemer Schüler zu Ausbildern in Einrichtungen, die der Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina dienten, Ahlem selbst übernahm nun zunehmend die Funktion der Vorbereitung auf die Auswanderung – eine Bedeutung, die für viele Schüler lebensrettend wurde.Obwohl die Ausbildung in Ahlem in eingeschränktem Maße noch bis zum Verbot jüdischer Schulen im Juli 1942 weiterlief, wurde die Gartenbauschule ab Ende 1941 von der Gestapo zur zentralen Sammelstelle für die Deportation der Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim bestimmt. Von Ahlem aus gingen zwischen Dezember 1941 und Februar 1945 Transporte mit mehr als 2.400 Menschen nach Riga, Theresienstadt, Warschau und Auschwitz ab.Im Oktober 1943 setzte sich dann die Gestapo selbst in Ahlem fest, übernahm das Direktorenhaus für ihre berüchtigte „Ausländerabteilung“ und richtete wenig später im Gebäude daneben ein „Polizeiersatzgefängnis“ für die Gestapohäftlinge ein. In der Kriegsendphase wurde in der ehemaligen Laubhütte der Gartenbauschule eine Hinrichtungsstätte eingerichtet, in der noch kurz vor Kriegsende über mindestens 59 ausländische, vor allem russische Zwangsarbeiter hingerichtet wurden



"Arbeitsschluß" steht unter diesem Foto im Album von Ilse Buchholz (hinten links), die von 1936 bis 1938 als Gärtnerlehrling in Ahlem war. Sie lebt heute als Debora Bakschitzky in Israel. Trudel Wertheim (hinten rechts) emigrierte nach England. Herbert Bieberfeld (vordere Reihe, 2. von links) wanderte im April 1939 in die USA aus, wo er bis vor wenigen Jahren eine große Gärtnerei betrieb, die heute sein Sohn leitet. Gedenkstätte Ahlem

Literatur- und Quellenverzeichnis

©
Andreas-Andrew Bornemann | www.postkarten-archiv.de / Postkarte - Reservelazarett - Israelitische Erziehungsanstalt Ahlem | 28.10.1914
©
Dr. Hans-Dieter Schmid | Leibniz Universität Hannover / Postkarten / Text

Die Veröffentlichung geschieht mit freundlicher Genehmigung des Rechteinhabers.

Geändert von Andrew.derLuchs (23.03.2011 um 01:42 Uhr).
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