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Alt 19.01.2021, 21:52   #19
Zardoz
Heerführer

 
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Als im 17. Jahrhundert in Europa langsam die stehenden Heere aufkamen und zugleich auch die Lanzierer als letztes Relikt eines Ritterheeres verschwanden, blieb die Adelsrepublik Polen-Litauen das einzige Land, das mit der Hussaria eine reguläre Kavallerie mit Lanzen unterhielt. Aus dieser entwickelten sich dort langsam die Ulanen. Als im späten 18. Jahrhundert im Zuge der polnischen Teilungen immer mehr polnische Gebiete unter die Herrschaft Preussens, Russlands und Österreich-Ungarns gerieten, begann diese Staaten, dort Lanzenreiter für ihre eigenen Streitkräfte aufzustellen. Während der Koalitionskriege kamen über die polnischen Legionen Ulanen in die Armeen Italiens und schließlich auch des napoleonischen Frankreichs, wo sie so populär wurden, dass man sie während des 19. Jahrhunderts schließlich in fast allen größeren Heeren nachahmte. Allerdings stellte man in Frankreich und bei seinen Nachahmern die entsprechenden neuen Regimenter meist nicht durch Rekrutierung von Polen auf, sondern durch Umwandlung einheimischer Truppenteile. Im Zeitalter der Lineartaktik waren Ulanen insbesondere dabei nützlich, mit ihren langen Lanzen die ansonsten für Kavallerie schwer zu überwindenden Bajonettreihen der gegnerischen Infanteriekarrees aufzubrechen. Die Zuordnung zur schweren oder leichten Kavallerie variierte von Land zu Land: In Preußen zählten sie bis zu den Scharnhorstschen Reformen zur leichten und danach zur schweren Kavallerie, in Großbritannien zur leichten Kavallerie und in Frankreich zur mittleren Kavallerie. Dort, wo sie zur leichten Kavallerie zählten, wurden sie auch vermehrt für deren Aufklärungs- und Sicherungsaufgaben sowie den Kleinen Krieg eingesetzt, während sie als Teil der schweren Kavallerie überwiegend als Schlachtenkavallerie Verwendung fanden

Die Entstehung der Ulanen als Kavallerietyp wird auf die Traditionen der Mongolen und Lipka-Tataren zurückgeführt, die sich im Großfürstentum Litauen, also im späteren Osten der polnischen Adelsrepublik, ab dem 14. Jahrhundert niederließen. Lanzenreiter (Hussaria) bildeten das Rückgrat der polnischen Truppen in der frühen Neuzeit und waren 1683 maßgeblich am Entsatz von Wien beteiligt. Die ersten auch so benannten Ulanenregimenter waren im frühen 18. Jahrhundert in Polen anzutreffen. Der letzte polnische König Stanislaus II. August Poniatowski stellte sogar als königliche Garde ein Ulanen-Regiment auf. Unter Napoléon dienten in der französischen Armee mit großem Erfolg vier aus polnischen Freiwilligen rekrutierte Ulanen-Regimenter und machten so die Lanzenreiter europaweit wieder populär. In den Streitkräften des Herzogtums Warschau stellten die Ulanen den Großteil der Reiterei.

Nach der Ersten Polnischen Teilung 1772 stellten die Polen im österreichischen Teilungsgebiet auf Anordnung des österreichischen Kaisers Joseph II. einen Uhlanen-Pulk auf (Pulk heißt auf polnisch auch „Regiment“). Dieser bestand aus 300 Adligen (poln. Szlachta) („Towarzysz“, zu deutsch „Genosse“) und 300 Untertanen („Pocztowy“, also „Begleiter“). Als am 1. November 1791 der Türkenkrieg beendet wurde, errichtete man das erste Ulanen-Regiment

Unter Napoléon wurden in Frankreich Ulanenregimenter aufgestellt, und zwar zunächst als Kavallerie der polnischen Weichsellegion in französischen Diensten. Als der Kaiser 1806 nach der Befreiung Polens in Warschau einzog, stellten polnische Adelige eine berittene Ehrengarde, deren tadellose Haltung den Kaiser so beeindruckte, dass er die Errichtung eines polnischen Chevaulegers-Regiments für seine Kaisergarde befahl. Erst 1809 erhielt das Regiment Lanzen, nachdem es bereits in der Schlacht bei Wagram spontan erbeutete österreichische Lanzen gegen deren Vorbesitzer eingesetzt hatte. Die Bezeichnung wurde in Chevauleger-lanciers geändert. 1810 trat ein 2. Garde-Regiment hinzu, das aus den Gardehusaren des aufgelösten Königreichs Holland gebildet wurde. 1812 wurde aus Polen und Litauern ein 3. Regiment aufgestellt, das jedoch noch im gleichen Jahr in Russland völlig aufgerieben wurde. Zeitweilig war auch das Regiment Chevau-légers du Grand-duché de Berg der Garde zugeordnet. 1811 wandelte man sechs Regimenter Dragoner zu Chevauleger-lanciers der Linienkavallerie um (sie zählten wie die Dragoner zur mittleren Kavallerie), die Kavallerie der Weichsellegion wurde zum 7. und 8. Linienregiment, das 9. bildete man aus norddeutschen Kavallerieeinheiten. Bei der ersten Abdankung Napoleons begleitete eine Schwadron polnischer Gardeulanen den Kaiser als einzige Kavallerieeinheit nach Elba, die polnischen und deutschen Regimenter wurden aufgelöst. 1815 wurde die Schwadron aus Elba mit dem holländischen Regiment vereinigt und kämpfte bei Waterloo.

Gruß
Zardoz
Quelle:
Emir Bukhari: Napoleon’s Dragoons and Lancers. Osprey Publishing, Oxford 1976.
Jean Tranié & Juan-Carlos Carmigniani:„Les Polonais de Napoléon“ Copernic 1982.
Gilles Dutertre: Les Français dans l'histoire de la Lituanie
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Das Dilemma der Menschheit ist, dass die Idioten so selbstsicher und die Intelligenten so voller Zweifel sind. (Oscar Wilde)
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